Jahrgang (41/42) 2014/2015
Herausgegeben von der SUEVIA PANNONICA, Vereinigung Ungarndeutscher Akademiker, Sitz Heidelberg
und von der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, Sitz Stuttgart
Heidelberg, 2016, 208 Seiten
ISBN 978-3-911210-38-6
Der Doppeljahrgang des „Archivs der Deutschen aus Ungarn“ beinhaltet zwölf interessante Beiträge aus den verschiedenen Bereichen des Ungarndeutschtums, wie Geschichte, Kunstgeschichte, Druckereiwesen, Medien, Heimatmuseen, berühmte, begabte Persönlichkeiten, Linguistik. Bereits der erste Beitrag ist spannend und hochinteressant, es geht um den aus Kemend/Mariakéménd stammenden deutschen Künstler Heinrich Stephan mit der Überschrift „Heinrich Stephan- Stefán Heinrich ein Künstler der `verlorenen Generation` von Brigitte Spiecker. Die Verfasserin begründet die von ihr gewählten Titel folgend: „Wie der …ungarische Maler …Ervin Bossányi…, gehörte Heinrich Stephan in mancher Hinsicht zu den Künstlern der häufiger so bezeichneten `verlorenen Generation`, die von den katastrophalen Folgen zweier Weltkriege und durch den Heimatverlust geprägt wurden.“ Der Untertitel heißt: „Von der `Schwäbischen Türkei` nach Gelsenkirchen“, den erklärt Frau Spiecker so: „Viele seiner Gemälde, Aquarelle, Lithographien sind verschollen, bei seiner Evakuierung 1944 konnte er kaum etwas mitnehmen. Stephan musste von 1945 ganz neu beginnen“. Stephan Heinrich und seine Familie teilte das Schicksal vieler ungarndeutschen Vertriebenen nach 1944, sein Leben davor war aufregend. Er besuchte das Gymnasium in Fünfkirchen/Pécs, studierte an der Kunstakademie in Budapest, machte eine lange Italienreise, er begann 1921 ein Bauhausstudium in Weimar und Dessau. 1930 kehrte er mit seiner Familie nach Ungarn zurück. 1940 malte er im „Deutschen Haus“ in Budapest (Lendvay Str.2) ein Großgemälde über die Einwanderung der Deutschen nach Ungarn. Dieses monumentale Bild ist im Krieg vernichtet worden. Von 1948 bis zu seiner Pensionierung 1961 arbeitete Heinrich Stephan im Gymnasium in Gelsenkirchen-Buer als Kunstlehrer. Sein umfangreiches Schaffen in Ungarn und in Deutschland wird im gründlich recherchierten Artikel von Frau Spiecker ausführlich dargestellt. Die hochwertigen Fotos stammen von Rolf-Jürgen Spiecker.
Klaus J. Loderer zeichnet in seinem Beitrag mit dem Titel: “Aus dem Stuhlweißenburger Nikolaus Eibl wurde der Budapester Architekt Ybl Miklós (1814-1891)“ den Lebensweg des damaligen Stararchitekts. Seine Bauten, wie die Oper, das Unger-Haus am Museumsring, das Palais des Grafen Alois Károlyi, die Pester Erste Landessparkasse am Kálvin tér, die Franzstädter Kirche, das Margaretenbad auf der Margareteninsel, das Hauptzollamt an der Donau, der Burggartenbazar, der Burggartenkiosk, das Burggartenpalais in Buda. Die Bauarbeiten der St. Stephan Basilika übernahm Ybl vom Architekten Josef Hild und musste noch den Einsturz der Kuppel miterleben, obwohl er die Notwendigkeit der Planänderungen sah, aber zur Ausführung deren kam es nicht mehr. Über dieses Ereignis wurde in allen Architektenblättern in Europa berichtet und die Ursachen gründlich analysiert. Ybl baute nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in der Provinz. In Kecskemét entstand die evangelische Kirche und er plante und leitete die Bauarbeiten bei der katholischen Kirche in Fóth. Nikolaus Eibl Alias Miklós Ybl ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wenn man in Ungarn eine Kariere machen wollte, musste man den deutschen Namen ablegen und für einen ungarischen eintauschen.
In dem Beitrag von Cornelius Mayer „Der Kreuzweg unserer Landsleute“ erörtert der Verfasser aus dem geschichtlichen Hintergrund heraus, wie es zur Vertreibung der Deutschen aus Ungarn kam. Er beschreibt das Erwachen des ungarischen Adels, der sich konsequent bereits vor 1848 unter der Federführung von Graf Stefan Széchenyi für die ungarische Sprache und Interessen einsetzte, das Verhalten des Adels zu den Nationalitäten in Ungarn, die Folgen des 1. Weltkrieges, die 1920 zum Trianoner Friedensvertrag führten. Nach diesem begann die ungarische Regierung zielgerechte, aggressive Assimilationsbestrebungen. Diese brachten ihre Früchte, weil eine Entfremdung der deutschen Bevölkerung zu ihrer Identität erwirkte. Im Zweiten Weltkrieg schränkte die Regierung ihre Verschmelzungsbestrebungen ein, weil sie durch die Allianz mit Hitler-Deutschland alte Gebiete zurück gewann. Nachdem 1944 Deutschland Ungarn besetzte, wurden die in Ungarn lebenden Deutschen, „Schwaben“, wie sie genannt wurden, zum Prügelknaben der ungarischen Nation. Auch die Sowjets betrachteten sie als schuldig und es begann die Odyssee der Ungarndeutschen. Zuerst wurden sie zur Zwangsarbeit in dem Donez-Becken gezwungen, dann enteignet, dadurch mussten sie ihren Wohnort und ihre Häuser verlassen und sie wurden heimatlos gemacht, schließlich musste die Hälfe der in Ungarn lebende Deutschen das Land, ihre Heimat verlassen und nach Deutschland kommen. Der Verfasser analysiert dabei das Verhalten der ungarischen Regierung, der Alliierten und der Sowjets. Aus diesem Artikel geht eindeutig hervor, dass die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn auf die Bitte der ungarischen Regierung erfolgte.
Karl-Peter Kraus wandte sich auch einem geschichtlichen Thema zu: der Ansiedlung der Deutschen in Ungarn mit dem Artikel „`Doch niemand weiß sein Grab`“ Der Untertitel deutet auf das tragische Schicksal der Einwanderer hin: „Die demographische Krise der Ansiedlungszeit in Briefen von Auswanderern“. Der Verfasser resümiert im Ausblick: „In den ersten Jahren nach der Ansiedlung wurden viele Siedler krank, nicht selten spielten sich menschliche Tragödien ab“.
Ingomar Senz beschäftigt sich mit dem geschichtlichen Thema: „Vor 110 Jahren: die Gründung der `Ungarnländischen deutschen Volkspartei`“, der Untertitel lautet: „Das Schlüsselereignis donauschwäbischer Selbstfindung“. Die Bedeutung dieser Partei war laut des Verfassers: „Während bis zur Gründung der Partei die offiziellen Kreise Ungarns die Schwaben nur als Steuerzahler… betrachteten, mussten sie sie als ernst zu nehmenden politischen Faktor anerkennen.“
Josef Haltmayer befasst sich mit zwei Themen, mit einem kirchengeschichtlichen und einem über das Druckereiwesen. Die Überschrift des ersten Themas heißt: „Die Rolle der katholischen Kirche in der ungarischen Nationalitätenpolitik in Vergangenheit und Gegenwart“, das zweite trägt den Titel: „Deutsche Buchdrucker und das Schicksal ihrer Druckereien in Altungarn“.
Judit Klein beschreibt die Situation der ungarischen Medien heute und vergleicht sie mit der in der kommunistischen Zeit. Die Verfasserin zieht die folgenden Schlüsse: „In der kommunistischen Zeit hatte ein Journalist wenig Zugang zu Informationen… Formell war die Aufgabe der Journalisten, die Bevölkerung zu informieren, aber in der Praxis war ihre Aufgabe im Grunde die Bekanntmachung der offiziellen Stellungnahmen… Obwohl die meisten Zeitungen von ausländischen Investoren aufgekauft wurden, sind die Normen und Regel des westlichen Journalismus nicht übernommen wurden… Das Ergebnis ist eine Abhängigkeit des Journalisten von seinem Arbeitgeber und immer noch von der Politik“. Frau Kein beweist, dass die Medien in Ungarn heute nicht frei sind, sondern durch parteipolitische Interessen geleitet werden. Die Aufgabe des Journalismus ist genauso wie in der kommunistischen Ära, sie dient dazu, vor allem die Ideologie der führenden Partei in Ungarn und auch der anderen Parteien zum Ausdruck zu bringen.
Der Artikel „Deutsche Heimatmuseen in Ungarn“ von Johann Adam Stupp stellt die Situation der Museen vor, die sich für Sammeln der Gegenstände der deutschen Bevölkerung und Archivieren ihrer Lebensweise verschrieben.
Harald Pöcher widmet sich dem großen Mathematiker „János Bolyai (1802-1860)“, denn er „legte Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner als `nicht-euklidischen Geometrie` bekannten absoluten Geometrie des Raumes den Grundstein für eine neue Ära in der Mathematik und Geometrie. Seine Entdeckungen bildeten den Ausgangpunkt … für die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein“.
Josef Schwings Beitrag überzeugt den Leser mit seiner Theorie, die gleich in der Überschrift erscheint: “Die Ortsnamen als Identitätssymbole Das Beispiel der Schwäbischen Türkei“ (Ungarn)“. Der Verfasser stellt im ersten Abschnitt des Artikels fest: „Dass Ortsnamen sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit, so der identitätsbildenden Erinnerungen an Familie, Kindheit oder schulische Sozialisation, darstellen, zeigt sich im Fall von freiwilligen oder erzwungenen Migrationen. Zahlreiche historische Beispiele beweisen, dass mit dem Verlassen des Heimatortes durch Auswanderung oder ihrem Verlust durch Flucht der Ortsname der Angelpunkt der gemeinsamen raumbezogenen Erinnerungen wurde, der die Migranten in der Fremde zusammenschweißte“. Der wissenschaftlich fungierte Beitrag zeigt u.a., wie die Integration der entlehnten Ortsnamen in die deutsche Mundarten vollzog, wie die Akzentuierung ist, wie die Weiterbildung der Ortsnamen durch Affixation erfolgte.
Jürgen Udolph beschäftigt sich in seinem Artikel, der die Weinliebhaber interessieren könnte, auch mit einem linguistischen Thema: „Woher hat der Riesling seinen Namen?“.
Der Doppeljahrgang des „Archivs der Deutschen aus Ungarn“ endet mit Buchbesprechungen.
Den Band schmückt ein vielfarbiges Bild von Josef de Ponte mit der Überschrift: „Den ersten den Tod, den zweiten die Not und den dritten das Brot“. Für die gute redaktionelle Arbeit, durch die der Leser mit unterschiedlichen, interessanten Inhalten konfrontieren wird, ist Josef Schwing verantwortlich.
Katharina Eicher-Müller